Reparieren für eine bessere Gesellschaft

Ein Gastbeitrag von Robert Jende, Forschungsprojekt "RePair Democracy" (Quelle des Beitrags)

 

Christian Fuchs ist ein Reparateur wie aus dem Bilderbuch – wenn die Sozialfigur des Reparateurs in unserer Gesellschaft eine Rolle spielen würde. Er arbeitet mit unterschiedlichen Materialen in verschiedenen handwerklichen Disziplinen und bezieht dafür keinen Lohn. Christian ist nicht lohnabhängig beschäftigt und tut der Gesellschaft Gutes, indem er defekte Dinge wieder instand setzt und so vor ihrer Entsorgung rettet. Gleichzeitig wird damit verhindert, dass noch unversehrte Ressourcen dem Boden entnommen werden. Die Basis für ein gutes Leben ist laut Christian die Reduktion von Stoffwechsel mit der Natur. Mit Stoffwechsel ist die Entnahme und Umwandlung natürlicher Ressourcen zu Kulturgütern wie Konsumprodukten oder Häusern gemeint. Im Interview erzählte er: „Du gehst deinem Hobby nach, du reizt deine Sinne und nimmst diesen Haufen Müll, der da rumliegt und verwandelst ihn zu etwas Funktionierendem. Du hinterlässt einen positiven Fußabdruck, das ist eigentlich das Geile. Also du lebst genussvoll und hast einen positiven Fußabdruck, das ist wie Permakultur. Das ist für mich so total schön an dem Gedanken der Reparatur.“

 

Sein Engagement in unterschiedlichen Repair Cafés der Stadt München beruht auf seiner Freiheit von Lohnabhängigkeit. Er kann sich eine positive Umweltbilanz leisten, weil durch die Vermietung eigener Immobilien für sein Auskommen gesorgt ist. Zwei Mal in der Woche kümmert er sich um die Verwaltung, Instandhaltung und Ausbesserung seiner Häuser. Seine Familie hatte in füherer Zeit eine erfolgreiche Firma betrieben. Die restlichen Tage stehen ihm zur freien Lebensgestaltung zur Verfügung, die er oft dazu nutzt, den Stoffwechsel mit natürlichen Ressourcen nachhaltiger zu gestalten, also weniger zu entnehmen, langlebiger damit zu arbeiten oder einfach weniger zu verbrauchen. Mit diesem kontinuierlichen Einkommen aus seiner Erbschaft ist er in einer herausgehobenen, privilegierten Lage. Auf dieser Basis kann Christian Fuchs ein radikal anderes Verhältnis zwischen Arbeit, Sorge und Einkommen verwirklichen, als es die politische Ökonomie unserer Tage demokratisch zu legitimieren weiß. Die Idee des modernen Lebens basiert im Wesentlichen auf einer Trennung von Arbeit und Freizeit – einer Differenz von Gelderwerb und Konsum. Gesellschaftliches oder politisches Engagement sowie Sorgearbeit sind häufig außerhalb der Lohnarbeit angesiedelt (vgl. Winker 2021). Es gibt Ausnahmen wie Berufspolitiker:innen, Erzieher:innen oder Mitarbeitende in NGO’s, sowie der niedrig entlohnte soziale Sektor. Den Stoffwechsel mit der Natur in ein positives Verhältnis zu bringen, Beziehungsarbeit zu leisten oder sozialpolitisches Engagement sind für die meisten Menschen erst nach Feierabend zu realisieren – und damit besser gar nicht.

 

Teilhabe durch Ausschluss

Christian Fuchs steht durch ein bedingtes Grundeinkommen außerhalb dieser politökonomischen Grundordnung einer „Politik der Nicht-Nachhaltigkeit“, die sich institutionell darin eingerichtet hat, „die bestehenden sozio-ökonomischen Strukturen und Trajektorien zu erhalten und fortzuentwickeln, die weitere Entfaltung moderner, bekanntermaßen nicht-nachhaltiger Verständnisse von Freiheit, Subjektivität und Selbstverwirklichung zu sichern, und die gesellschaftlichen Konsequenzen zu verwalten, die das absehbar und unvermeidlich mit sich bringt“ (Blühdorn, S. 139). Christian gibt selbst ein Beispiel für eine nachhaltige Lebensform: Produktion des Notwendigen und Konsum des Nötigen ohne einen moralisch-ideologischen Duktus anzurufen, der Mensch könne nicht glücklich und sinnlich Leben, ohne zahlreiche Schönheitsoperationen, Billigfleisch aus zerstückelten gequälten Tieren, den alljährlichen Osterurlaub oder ein Anwesen auf den Jungferninseln – je nach Milieu und Potenz. Konsum ist für Christian die Seite, die den Möglichkeitsraum für ein nachhaltiges und sinnstiftendes Leben besetzt; Arbeit ist jene Seite, die den Stoffwechsel mit den natürlichen Ressourcen für den Konsum notwendig macht. Je mehr Dinge von Menschen konsumiert werden, desto mehr Arbeit muss verrichtet werden, umso weniger Raum und Zeit bleibt für Aktivitäten außerhalb dieses Verhältnisses – zum Beispiel für kulturelle, soziale, demokratisierende oder sorgende, sofern diese nicht ohnehin kommodifiziert, also zu konsumierbaren Waren gemacht, wurden. „Die Leute kaufen nicht nur das Produkt, sie kaufen auch den Raum, in dem das Produkt ausgestellt wird“, so Christian. Um diese zeit- und raumintensive Verstrickung zu entzerren, schlägt er entsprechend seiner Lebensführungvor, lediglich zweieinhalb Tage in der Woche für die Herstellung lebensnotwendiger Dinge zu arbeiten. Die Ersparnis an Arbeits- und Konsumzeit kann eine nachhaltigere Lebensweise mit sich bringen und könnte außerdem für die gemeinsame Gestaltung der (sozialen) Umwelt genutzt werden – also für eine Demokratisierung der Lebenswelt. Die Bindung an lohnabhängige Arbeit steht in einem direkten Verhältnis zur Partizipation am politischen Gemeinwesen sowie der strukturellen Entwicklung nachhaltiger Lebensweisen. Die Empirie zeigt, dass sich vor allem ökonomisch abgesicherte Menschen mit hohem Bildungsgrad politisch engagieren (Bödeker 2012). In unserer Feldforschung rund um Repair Cafés und zivilgesellschaftliche Selbstorganisation war die Problematisierung der Wiederkehr der Immergleichen augenscheinlich. Es werden zwar vielerorts Möglichkeiten gesucht auch sozial benachteiligte und marginalisierte Gruppen in Aktivitäten zivilgesellschaftlicher Selbstorganisation miteinzubeziehen, doch diese gut gemeinten Versuche ändern wenig am strukturellen Verteilungsproblem der Teilhabe an der Mitgestaltung gemeinsamer Lebensgrundlagen. „Die Geschichte der Demokratisierung ist eine Geschichte von Teilhabe durch Ausschluss“ (Lessenich 2019, S. 17). 

 

Deaktivierung durch Professionalisierung

Neben dieser strukturellen Architektur der Wahlfreiheit zwischen Konsum und politischen Programmen zeigt sich anhand der außergewöhnlichen Freiheit von Christian Fuchs ein weiteres Beispiel für die Ermöglichung und Beeinträchtigung gesellschaftlicher Partizipation. Über eine Ehrenamtsmesse wurde Christian auf eine Jugendeinrichtung aufmerksam, die unter anderem einen Garten und eine Holz- und Metallwerkstatt beherbergt. „Da funktioniert das gleiche Prinzip. Ich bastle gerne, ich mache gerne was mit Holz, mit Kindern und Jugendlichen was zu machen macht mir auch Spaß. Das ist ein kostenloses Hobby für mich. So ist es, so sehe es ich. Und nicht jetzt, dass ich da was machen muss, weil das ist für mich ein kostenloses Hobby. Genauso wie dieses Gärtnern. Ich könnte mir auch einen Schrebergarten anmieten und mich da betätigen drauf, aber nein, da ist ja ein Garten, der brachliegt, der von jemanden bespielt werden muss. Das mache ich halt dann. Das kostet kein Geld. In der Gruppe macht es eh viel mehr Spaß. (…) Diese Lebensform ist überhaupt nicht mit Verzicht behaftet, im Gegenteil. Das ist total bereichernd.“ Christian betreibt sein „Hobby“ des Reparierens, Bastelns und Herstellens nicht aus reiner Nächstenliebe oder aus moralischen Selbstverpflichtungen, sondern weil er Freude daran hat und er kann dem nachgehen, weil er materiell abgesichert ist. Dadurch erfüllt Christian die Voraussetzungen einer ästhetischen Lebensform, die Friedrich Schiller in einem Brief an den Herzog von Augustenburg am 11. November 1793 formulierte: „Der Mensch ist noch sehr wenig, wenn er warm wohnt und sich satt gegessen hat, aber er muss warm wohnen, und satt zu essen haben, wenn sich die bessre Natur in ihm regen soll“ (Schiller 2010, S. 149). Schiller ist sehr früh auf der Spur, dass gesellschaftliche Teilhabe unmittelbar an die materiellen Lebensgrundlagen gebunden ist. Der Rückschluss bleibt allerdings hypothetisch: Menschen mit besonders guter Ausstattung müssen nicht unbedingt die edelsten Charaktereigenschaften ausprägen.

 

Eine Wendung des Engagements von Christian bei der Jugendeinrichtung ereignete sich, als diese von Angestellten aus dem Bereich der Kinder- und Jugendarbeit geleitet wurde. „Die sperren auf, die Kinder kommen und dann werden die halt betreut, fertig.“ Die intrinsische Hingabe an ein gemeinsames Projekt wurde professionalisiert und einer bürokratischen Ordnung unterstellt. Zuvor wurde das Grundstück von einer Elterninitiative erschlossen, die einen Verein gegründet hat. „Dieser Verein ist mal entstanden, weil Eltern mit ihren Kindern zusammen ein Freizeitgrundstück betreiben wollen. Und dann sind sie zur Stadt (…), haben einen Grund bekommen in [Stadtteil X] und haben das halt betrieben. Dann irgendwann wurden mal Leute eingestellt, die dort arbeiten, dass es so zu einer öffentlichen Einrichtung wurde, wo andere Kinder auch noch hinkommen können. Diese erste Elterngeneration ist aber rausgewachsen, die sind nicht mehr da. Der Verein, das sind hundert Mitglieder, ist mittlerweile quasi tot, der wird nur noch verwaltet. Das Geld kommt von der Stadt, fließt durch den Verein und die Angestellten haben auch nichts mehr mit diesem Verein zu tun, sie sind halt noch angestellt, indirekt bei der Stadt. Das ist irgendwie alles ein bisschen träge geworden. Die Idealvorstellung wäre eigentlich diesen Verein zu aktivieren, dass dann, sagen wir mal drei-/vierhundert Mitglieder sind, die sagen: Ja, da ist ein Grundstück, ein Hektar, da gibt es Tiere, Werkstätten, wir als Verein nutzen das zusätzlich noch zu dem, dass die Stadt dort eine öffentliche Einrichtung hat. Eben nicht mit seinen Kindern am Wochenende in die Berge fahren, was Stau verursacht, oder man mietet sich in eine Hütte ein, was dann wieder Geld kostet. Nein, man nimmt seine Kinder vielleicht mit der Straßenbahn, mit der S-Bahn oder mit dem Fahrrad dort hin, sperrt die Werkstatt auf und beschäftigt sich mit handwerklicher Tätigkeit oder man macht Lesekreise oder sonst irgendwas, es gibt ja ein Freizeitgrundstück. Wir können Mobilität einsparen, man müsste weniger Geld verdienen, man könnte eine Gemeinschaft pflegen. Da könnte so eine Politik, so eine Basisdemokratie entstehen in so einem Bereich. In einem Verein, Vereinsleben. Nur ich sehe es halt nicht. Ich diskutiere das mit Freunden seit Jahren. Ich bin seit Jahren mit dabei in dem Verein, aber zu den Versammlungen kommen fünf Leute. (…) Und das ist einmal im Jahr, also das wird nicht gelebt. Und ich erzähle es immer rum, aber keiner hat Zeit dorthin zu kommen, das zu machen. Wenn sie Zeit haben: Sommer, Urlaubszeit, ja zack bum, erstmal wegfliegen oder wegfahren. Wer bleibt schon in der Stadt mit seinen Kindern und sagt dann: ‚Jetzt habe ich endlich einmal Zeit, jetzt gehe ich einfach nur nach [Stadtteil Y] in den Garten.‘ (…) Man ist ja so gestresst vom Urlaub, dass man ja was machen muss, du musst ja wegfahren.“

 

Ein Nachruf und Aufruf für Orte der Partizipation

„Die Einrichtung, das ist so viel Platz, da könnte noch viel mehr passieren. Das ist ein guter Hektar ist das groß, die Werkstatt, die steht die ganze Woche leer, da ist einmal Holzwerkstatt, die Metallwerkstatt steht leer, da könnte jeden Tag eine Gruppe von Jugendlichen ihre Fahrräder zusammenschweißen oder was ausprobieren. Künstler können dort tätig werden…“ Es gibt sie also irgendwo, freie Räume, entzaubert von Verwaltungen, besetzt durch Konsum: „Das war so ein Treffen offener Werkstätten. Da ging es eben auch drum: ‚Ja, wir brauchen Räume, wir brauchen Räume.‘ (…) Mit seinem Konsumverhalten macht man sich den Raum eng. Also du konsumierst auf der einen Seite und okkupierst damit den Raum. Auf der anderen Seite will man von der Stadt einen Raum für sein soziales Engagement geschenkt bekommen. Das ist ein Widerspruch. Hör auf zu konsumieren, dann ist der Raum frei. Weil der Raum, Grund und Boden, ist begrenzt. Weil den kann man nur einmal verwenden.“

„Also Christian, wie kommt man an die Räume?“, frage ich. „Durch Verminderung des Stoffwechsels!“ – „Wenn weniger konsumiert wird, würde ein Laden leer stehen, weil es den einfach nicht braucht. Dann steht dieser Raum, diese Räumlichkeit steht der Gemeinschaft wieder für was Anderes zur Verfügung. Oder anders ausgedrückt: Wenn die Gemeinschaft, die Gesellschaft denkt, sie braucht eine Versicherung, weil sie ängstlich ist, ja, dann fließt das Geld an die Versicherung. Was macht die damit? Die baut ein Hochhaus hin, das ist dann dieses Verwaltungsbüro von dieser Versicherung. In dem Moment hat jeder, der in dieser Versicherung ist, dieses Gebäude konsumiert. Wenn er seine Versicherung kündigt, oder wenn alle ihre Versicherung kündigen würden, dann würde das Haus leer stehen.“

 

 

Literatur

Blühdorn, Ingolfur (2020): Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet. Bielefeld: transcript.

Lessenich, Stephan (2019): Grenzen der Demokratie. Teilhabe als Verteilungsproblem. Stuttgart: Reclam.

Schiller, Friedrich (2010): Über die ästhetische Erziehung des Menschen. Stuttgart: Reclam.

Winker, Gabriele (2021): Solidarische Careökonomie. Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima. Bielefeld: transcript.

 

empfohlene Zitierweise

Robert Jende: Reparieren für eine bessere Gesellschaft. In: Bayerischer Forschungsverbund „Die Zukunft der Demokratie“ (Hrsg.): ForDemocracy 2021. https://fordemocracy.hypotheses.org/3127 (Datum des Zugriffs).

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