Eine Dekade gemeinsames Reparieren: 10 Jahre Netzwerk Reparatur-Initiativen
Vor zehn Jahren, als die anstiftung die Vernetzung und Begleitung von Reparaturcafés aufnahm, existierten keine hundert Initiativen in Deutschland. Im Oktober 2014 luden wir diese Pioniere zum ersten bundesweitenVernetzungstreffen ins Verkehrszentrum des Deutschen Museums nach München ein, wo die Teilnehmenden nach der Veranstaltung in einer gemeinsamen Resolution u.a. ein Reparatursiegel, ein starkes Netzwerk der Reparatur-Initiativen, reparaturfreundlichere, länger nutzbare Produkte und Schritte hin zu einem Recht auf Reparatur forderten. Zwar gibt es bis heute kein Reparatursiegel – die anderen Punkte jedoch sind mit über 1500 Initiativen im Bundesgebiet (Tendenz steigend) und auf politischer Ebene mit EU-Gesetzen zum Recht auf Reparatur auf einem guten Weg.
Am 12. & 13. Oktober 2024, fast
auf den Tag genau zehn Jahre später, brachten wir die Aktiven aus den
Reparaturcafés erneut in München zusammen, um den überregionalen Austausch und
Vernetzung zu ermöglichen und das zehnjährige Jubiläum mit einer
Abendveranstaltung im Deutschen Museum gebührend zu feiern. Rund 90 Aktive aus
72 Initiativen kamen zusammen und erlebten einen lebendigen, inspirierenden Tag
rund ums gemeinsame Reparieren. Tagsüber fanden 12 Workshops zu
unterschiedlichen Themen an verschiedenen Orten in München statt. Zum Samstagabend hin versammelten sich die Teilnehmer*innen im Deutschen Museum für
ein kurzweiliges Programm aus Vorträgen, Videobeiträgen und Performance-Intervention.
Das Abendprogramm startete nach einer Begrüßung durch die anstiftungs-Vorstände
Dr. Christa Müller und Daniel Überall mit einer Videogrußbotschaft von
Bundesumweltministerin Steffi Lemke, gefolgt von einem Redebeitrag von Tom
Hansing, der die Entwicklung der Reparaturbewegung in den vergangenen zehn
Jahren skizzierte. Im Anschluss verlieh Katrin Meyer, Geschäftsführerin des
Runden Tisch Reparatur e.V., den goldenen Schraubenzieher an den
Generaldirektor des Deutschen Museums, Prof. Dr. Wolfgang M. Heckl. Es folgte ein
videographischer Beitrag über die Skills Factory auf Samos, ein offenes
Werkstattprojekt mit Geflüchteten. Jennifer Leis
vom Habitat Augsburg e.V. sprach schließlich über Reparaturcafés als Treiber
urbaner Transformation. Gerahmt waren die Beiträge durch musikalische Interventionen auf der Nähmaschine der
Performancekünstlerin Lisa Simpson – „making music out of making clothes“.
Die Aufzeichnung des Abendprogramms im Deutschen Museum ist hier zu sehen:
Über das Reparieren als Praxis der Ressourcenschonung
und des gemeinschaftsfördernden Zusammenkommens war die Diversität in
Repaircafés und deren politische Verantwortung ein heißes Thema beim
zehnjährigen Netzwerktreffen. Aufgrund meist berufsbiografischer Hintergründe
ist die Reparatur immer noch eine Männerdomäne. Die gesellschaftliche Vielfalt
findet sich nicht in jedem Reparaturcafé wieder und wird von einigen als
Gestaltungsaufgabe begriffen. Trotzdem bleibt das Reparieren im Kern was es
ist: eine weltformende, ressourcenschützende Tätigkeit, die Menschen befähigt und verbindet, die Befriedigung in sich selbst findet und dabei auf zwischenmenschlicher wie gegenständlicher Ebene eine positive Energiebilanz produziert.
EINDRÜCKE AUS EINZELNEN WORKSHOPS
Im Workshop REPARTURKULTUR STÄRKEN erhielten die
Teilnehmer*innen zunächst einen Einblick in die Aktivitäten des Rhein-Ruhr Repairkultur e.V. Dann sammelten sie in kleinen Runden Ideen, welche Akteure in
ihrer Region oder Stadt bereits im Bereich Reparateur tätig sind und welche
weiteren Institutionen oder Zielgruppen zur Stärkung der Reparaturkultur sie
gerne aktivieren würden, weil es Gewinn bringende Synergien schafft. In
Kleingruppen entwarfen sie Konzeptideen für eine lokale Aktion oder ein Format,
um in Kooperation mit anderen das Reparieren vor Ort zu stärken. Die
Ausgangsfrage: Wie kann man Reparatur-Kultur etablieren und Konsumkultur
schwächen?
Die Ideen:
- Schüler-AG mit Schulen, Hausmeister, externe Ehrenamtliche - Reparaturort an der Schule als erste Anlaufstelle bei Defekt, Berufsfindungsmöglichkeit. Ziel: Etablierung von Reparieren als Unterrichtsfach
- Info-Stände: An verschiedenen Orten wie Einkaufszentren, Schulen, Recyclingstationen
- Workshopformate Erwachsenenbildung zB an VHS, Seniorenakademie,…
- Kooperationen mit lokalen Handwerksbetrieben
- Insellösungen zusammenführen: Nachhaltigkeit +
Integration + soziale Interaktion gegen Vereinsamung - Zusammenarbeiten mit
Stadtverwaltung, Kirchen, sozialen Trägern, Integrationsmanagement,
Nachbarschaftstreffs, Quartiersmanagement
Eine wichtige Erkenntnis aus dem Praxisworkshop SYSTEMATISCHE FEHLERSUCHE behandelten Inhalte „am Gerät“
sind schwer in Textform wiederzugeben. jedoch noch
bevor man eine Reparatur startet: Sich fragen, ob man das überhaupt reparieren
kann und das Reparaturcafé der richtige Ort für genau diesen Defekt ist – oder
nicht. So spart man sich Zeit, die vielleicht ins Zerlegen und Tüfteln fließt,
aber zu keinem Ergebnis führt. Lars Gauster erklärte zudem, dass bei einer
Geräteprüfung am besten alle Sinne zu benutzen sind – also auch hören, riechen
und fühlen, nicht nur eine reine Sichtprüfung.
Der Workshop REPARATURCAFÉS SCHRAUBEN AN DER DEMOKRATIE startete mit der Frage „Wie
vielfältig ist es bei euch?" – was von den verschiedenen Initiativen sehr
unterschiedlich beantwortet wurde: Manche beobachten bei sich viele ältere,
gebürtige Deutsche, andere vereinen bei sich viele verschiedene Schichten,
Altersgruppen und Kulturkreise. Das Fazit der Gruppe: Wer Diversität im
Repaircafe will, muss aktiv etwas dafür tun. Weitere Fragen in der Runde: „Passiert
im Reparaturcafé etwas mit den Menschen über das Reparieren hinaus?" : Einhelliges "Oh
ja!" Die Menschen erfahren durch das Reparieren Selbstwirksamkeit, lernen neue
Leute kennen, finden einen Rahmen, um sich über ihre Probleme auszutauschen,
die oft eine politische Dimension haben. „Tragen Reparaturcafés auch eine politische
Verantwortung und was könnten sie da tun?" – hier hat jede Initiative eine
eigene Antwort. Klar ist: Die Aufgabe, Dinge zu reparieren und Menschen einen
Raum zu geben, in dem sie sich engagieren, austauschen und Selbstwirksamkeit erfahren können, wirkt
gesellschaftsgestaltend und hat somit politische auch eine politische Dimension. Verstärkt wird
das zusätzlich, indem Probleme, auf die man während des Reparierens trifft,
diskutiert werden und man sich im Dialog etwa für das Recht auf Reparatur
einsetzt. Auch innerhalb von Reparaturcafés kann es leider nötig werden,
rechtsextremen Vereinnahmungen aktiv entgegenzutreten und dadurch Stellung zu beziehen. Der
Workshop hat gezeigt: Der Austauschbedarf zu einer politischen Verantwortung
von Repaircafés war groß und wurde intensiv geführt. Reparatur-Initiativen sind zwar nicht vordergründig politisch, finden aber inmitten der Gesellschaft statt
– und tragen so auch zum politischen Klima bei.
Jugend repariert gemeinsam – das war das Thema im Workshop MACH’S GANZ,
wo das gleichnamige Projekt für Kinder und Jugendliche in München im Fokus
stand und sich vorstellte. Zielgruppe des Projektes sind 15-27jährige,
erklärtes Ziel u.a. das Hinführen zu handwerklichen Berufen. Die Förderung des
Projekts läuft über das Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm der Stadt
München und umfasst neben Mach’s Ganz auch die Werkzeugbibliothek und das
Repair Café am Gasteig. Mit einem Reparaturparcours können Schulklassen besucht
werden und die Schüler*inenn an 26 Stationen diverse Reparaturerfahrungen
sammeln. Einmal im Monat findet eine Fahrradreparaturaktion in Kooperation mit
dem ADFC statt, es gibt einen Girl’s Club mit Upcyclingangebot, ein
Espace-Repair-Game und weitere Workshopformate.
Im Workshop LÖTEN KANN JEDE*R bekamen die Teilnehmenden zunächst eine kurze,
theoretische Einführung zu den benötigten Utensilien: Lötzinn - enthält heute
üblicherweise kein Blei mehr. Lötkolben - nach dem löten NICHT sauber machen,
sondern erst vor dem nächsten Lötvorgang. So bleibt der Lötkolben geschützt vor
Korrosion. Haltevorrichtung und Hitze resistente Unterlage, am besten aus
Silikon, denn gelötet wird bei 360°C. Auch sehr hilfreich, wenngleich nicht
unbedingt notwendig sind eine Lupenbrille, eine 3. Hand, ein Multimeter, um zu
überprüfen, ob die Lötstelle wie gewünscht funktioniert und eine
Entlötsaugpumpe. Nachdem sich alle an alten Drähten ausprobierten, konnten die
Teilnehmenden LEDs an Platinen löten. Das Ergebnis: verschiedene Bienen,
Fledermäuse und Roboter mit hübsch blinkenden Augen.
BARRIEREN ABBAUEN in Reparaturcafés war das Thema des Workshops von Margit vom
Habitat Augsburg und Anna vom Café Kaputt Leipzig. Die Ausgangsfrage war: „Wie
können wir eine breitere Gruppe an Besucher*innen ansprechen? Wie eine breitere Gruppe an Reparateur*innen
und Aktiven?“ Schon die Form der Ansprache bildet oder mindert Barrieren:
Kommuniziert ihr per Du oder siezt ihr? Sind eure Aufrufe und Einladungen auch
in anderen Sprachen verfügbar? Ist eine Umschreibung in Leichte Sprache
möglich? Wie gut sind die Texte grafisch lesbar?
Zugang ist ein Menschenrecht – und gleichzeitig braucht Barrierefreiheit Zeit,
sich herum zu sprechen und angenommen zu werden. Unterrepräsentierte Gruppen können
auch gezielt eingeladen werden, z.B. Women* only/ Sprechstunde in
Gebärdensprache. Hierfür sind Kooperationen mit anderen Vereinen, o.ä.
besonders hilfreich. So kann das Reparaturcafé
auch soziale Beziehungen reparieren, indem es eine inklusive und angenehme
Atmosphäre schafft. Es ist ein sozialer Ort, nach innen wie nach außen.
RECHT AUF REPARATUR - WAS BEDEUTET ES IN DER PRAXIS?
Dieser Fragestellung gingen Katrin Meyer und Alena Romanova vom Runden Tisch
Reparatur e.V. nach: In der EU wurde dieses Jahr das Recht auf Reparatur
beschlossen. Der Workshop blickte darauf, was genau das heißt, für welche
Produkte es (nicht) gelten wird und warum es noch lange nicht genug ist, um
Reparatur tatsächlich wieder attraktiver und einfacher für viele Menschen zu
machen. Neben den verschiedenen Reparaturbonus-Systemen und dem anstehenden
Förderprogramm für Reparatur-Initiativen wurde auch das Thema Kommunale
Reparaturförderung diskutiert. Die Teilnehmenden berichteten welche Maßnahmen
bereits bei ihnen vor Ort umgesetzt werden. Darunter: Kooperation von
Reparaturcafé und Wertstoffhof, Bewerbung der Reparaturtermine im Abfallkalender/
-App, Übernahme von Mietzahlungen, Zusammenarbeit von Repair-Cafés und Schulen
und vieles mehr. Weitere Infos zu EU-, Bundes- und kommunaler Reparaturförderung
gibt es unter www.runder-tisch-reparatur.de.
AUSTAUSCH UND VERNETZUNG AM SONNTAGVORMITTAG
Austauschrunde FRAUEN IN REPARATURCAFÉS
Austauschrunde REPARATUREN ZU HAUSE BEENDEN?
Austauschrunde EHRENAMTLICHE FINDEN UND MOTIVIEREN
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